- Literaturnobelpreis 1986: Wole Soyinka
- Literaturnobelpreis 1986: Wole SoyinkaDer nigerianische Dichter erhielt den Literaturnobelpreis als erster Afrikaner für sein Gesamtwerk, vor allem jedoch für seine Theaterstücke und deren poetische Ausdruckskraft.Wole Soyinka (eigentlich Akinwande Oluwole Soyinka), * Abeokuta (Nigeria) 13. 7. 1934; 1967-69 aus politischen Gründen in Haft; 1972-75 in Cambridge im Exil, 1975 Rückkehr nach Nigeria und Ernennung zum Generalsekretär der Union of Writers of African Peoples, 1976 Professor an der Universität Ife, 1984-88 Exil in Paris, erneute Rückkehr nach Nigeria, 1994 Emigration in die USA.Würdigung der preisgekrönten LeistungViele von Soyinkas Texten wurzeln in den Mythen und Riten seines Stammes, den Yoruba, obwohl Soyinka selbst davon bereits ein gutes Stück entfernt war. Sein halbbiografisches Werk »Aké. Die Jahre der Kindheit«, das 1981 erschien, dokumentiert den Spagat von Soyinkas Denken zwischen den Welten der Dorfbewohner und ihren Gottheiten und dem Leben als privilegierter Sohn eines Volksschulrektors, der seine Kinder nach christlichem Glauben und eher westlichen Wertvorstellungen erzog. Der Roman erklärt die literarische Entwicklung Soyinkas, der den Yoruba-Gott Ogun als immer wiederkehrende Symbolfigur für sein Gesamtwerk gewählt hat, genauso wie seine tiefe Verwurzelung in der europäischen literarischen Tradition.Dennoch wurde Soyinkas Prosawerk in der Laudatio der Schwedischen Akademie nicht eigens erwähnt. Nach dessen Meinung zählt Soyinka vor allem zu den größten englischsprachigen Theaterdichtern. Ein weiterer Grund, warum Soyinka den Literaturnobelpreis erhielt, dürfte aber auch seine untadelige politische Haltung gewesen sein. In seinem Heimatland Nigeria, das nach dem Erdölboom seit Ende der 1970er-Jahre von einer wirtschaftlichen und politischen Turbulenz in die nächste geriet, war Soyinka stets eine der wenigen moralischen Autoritäten, die sich ohne Scheu den teilweise brutalen Militärmachthabern in den Weg stellten. Der Autor prangerte in seinen Texten und Interviews immer aufs Neue die selbstsüchtige und korrupte Führungsschicht seines Landes an.Bereits unmittelbar nach der Befreiung Nigerias von der Kolonialherrschaft im Jahr 1960 war der damals gerade vom Studium aus England zurückgekehrte Soyinka erstmals mit den neuen Machthabern über Kreuz geraten, weil sein Theaterstück »A dance of the forests« (englisch; Tanz der Wälder) zu deutlich deren Vetternwirtschaft und Inkompetenz angeprangert hatte.Auch sein erster Roman, »Die Ausleger« (1965) erschienen, stellt eine Satire auf den jungen Staat dar und legt soziale und ökonomische Missstände rücksichtslos bloß. In dem von vielen Rückblenden geprägten Werk kehren fünf Freunde nach dem Studium im Ausland in ihre Heimat zurück und beobachten das sich etablierende Regime im gerade unabhängig gewordenen Staat. Sie kommentieren mit geistreich bissigen Ausfällen und tiefschürfenden Reflexionen, tun aber selbst nichts, um die Situation zu verändern.Kritiker bescheinigten Soyinkas Erstling allerdings erhebliche stilistische Mängel: Nur zehn Seiten des Romans enthalten dialogfreie Erzählpassagen, auch der allzu ausufernde Gebrauch der Rückblende wurde kritisiert.Opfer politischer RepressionDie Zeit zwischen August 1967 und Oktober 1969 markierte eine tiefe Zäsur in Soyinkas Schaffen. Wegen seiner Opposition zum Biafrakrieg, über die er in »Der Mann ist tot« (1972) ausführlich berichtet, wurde er von der Straße weg verhaftet und mehr als zwei Jahre ohne jede offizielle Anklage festgehalten. Aus einem Gefängnis in Lagos gelang es ihm, einen Brief herauszuschmuggeln, der veröffentlicht wurde. Nun erschien er dem Militärregime unter General Yakuba Gowon als so gefährlich, dass man ihn zu liquidieren versuchte, was misslang. Daraufhin brachte man ihn in das Hochsicherheitsgefängnis von Kaduna in Nordnigeria, wo er in absoluter Isolationshaft dahinvegetierte. In seinem Gedicht »Live Burial« (englisch; Lebendig begraben; 1969) beschreibt er eindrücklich seine Erlebnisse in der 16 mal 23 Schritte großen Zelle. Auch wenn Soyinka 1986 in seiner Stockholmer Rede sagte, weder Themen noch vorrangiges Ziel seiner Literatur seien politisch, so ist er doch ein durch und durch politischer Mensch mit großem Engagement. »Ich habe eine ganz besondere Verantwortung, denn ich rieche das reaktionäre Sperma Jahre bevor die Vergewaltigung der Nation stattfindet«, sagte er 1973 in einem Interview. Dennoch trennt er streng zwischen seiner Literatur und seinen öffentlichen Auftritten. In seiner Literatur ist er insofern politisch, als er jede Schulmeisterei vermeidet; vor einer Analyse der Verhältnisse freilich schreckt er nicht zurück. Vor allem haben ihn die Erfahrungen seiner Haft nicht eingeschüchtert, sondern seine Produktivität und Angriffslust eher noch gesteigert. Die Gefängniserinnerungen »Der Mann ist tot«, sein zweiter Roman »Zeit der Gesetzlosigkeit« (1973), das Stück »Die Verrückten und die Spezialisten« (1971) — eine Studie der totalen Entmenschlicheung durch den Biafrakrieg —, schließlich der Gedichtband »A Shuttle in the Crypt« (englisch; »Ein Weberschiffchen in der Gruft«; 1971) entstanden alle in den ersten beiden Jahren nach der Haftentlassung und sind durchaus politisch.Stilwechsel zu eingängigen TextenAnfang der 1980er-Jahre zeichnete sich mit dem Erscheinen von »Aké« eine weitere Zäsur in seinem literarischen Schaffen ab: Die Kindheitserinnerungen wurden als ungewöhnlich klar, eingängig, verständlich und unkompliziert in Stil und Struktur gepriesen, und tatsächlich hat Soyinka, der immer als komplizierter Autor galt, hier sein Versprechen eingelöst, »irgendwann etwas für jeden zu schreiben«. Im selben lockeren Stil sind auch »Requiem für einen Futurologisten« (1985), eine Satire auf das in Nigeria grassierende Sektenunwesen, und der Roman »Isara« (1989) gehalten. In ihm wird die Handlungszeit von Aké zwischen 1935 und 1950 erneut aufgegriffen, diesmal aber aus Sicht der Vätergeneration. »Isara« erinnert aber auch an »Die Ausleger«: Wieder steht eine Gruppe von Freunden im Mittelpunkt, wieder wird ausgeleuchtet, wie sie sich unter widrigen Umstände verhalten, und der Vergleich fällt sehr zuungunsten der jüngeren Generation aus.Seit der Auszeichnung mit dem Nobelpreis ist Soyinka noch stärker als zuvor in der Öffentlichkeit präsent. Vor allem im Ausland ist er ein gefragter Gesprächspartner zu allen Fragen zu seinem Heimatland, insbesondere während der brutalen Diktatur Sani Abachas, der ihn 1994 erneut ins Exil trieb. Schreiben ohne politische Einmischung ist für Soyinka erst recht seit der Ermordung seines Freundes und Schriftstellerkollegen Ken Saro-Wiwa im Herbst 1995 durch die Schergen Sani Abachas unmöglich geworden. Nach Abachas Abgang wurde Soyinka sogar ernsthaft als Kandidat für das Präsidentenamt gehandelt, nachdem der demokratische Hoffnungsträger Moshood Abiola 1997 kurz nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis verstorben war. Doch Soyinka winkte entschieden ab: Bevor er Politiker werde, meinte er, müsse sich erst »eine Schreibblockade einstellen«. Obwohl er derzeit noch immer im Ausland lebt, fühlt er sich nicht als Exilant: »Ich trage Nigeria im Herzen, egal wo ich gerade lebe,« sagte er 1999 in einem Interview.M. Geckeler
Universal-Lexikon. 2012.